Title in the original language
Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit und schulischer Fremdsprachenunterricht: Forschung, Sprachenpolitik, Lehrerbildung
Yıl
2011
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DOI
9783037551233
An abstract in the original language
Mehrsprachigkeit ist in zweifacher Hinsicht ein zentrales Thema der heutigen Schulen: Zum einen geschieht in vielen Ländern schulisches Leben, Lernen und Lehren unter Bedigungen einer sprachlichern und kulturellen Vielfalt, auf welche die in nationalstaatlichen Traditionen verwurzelten und an der Leitvorstellung sprachlich-kultureller Homogenität orientierten Schulsysteme eher zögerlich und ohne tiefgreiffende Konzepte reagieren (vg. Gogolin 1994). Mehrsprachigkeit ist somit Voraussetzung schulischen (Sprachen-)Lernens, da ein großer Teil der Schüler/innen bereits vor Schulbeginn mit mehr als einer Sprache aufwächst oder als sogenannte 'Seiteneinsteiger' ins deutsche Schulsystem wechselt, um auf der Basis einer anderen Erstsprache dann Deutsch als Zweitsprache bzw. die anderen Schulfremdsprachen zu erlernen (vg. für die Mehrsprachigkeit spezifischer Regionen in Deutschland Chlosta/Ostermann/Schroeder 2003, Fürstenau/Gogolin/Yagmur 2003). Zum anderen ist Mehrsprachigkeit auch erklärtes Ziel schulischer Bildung: Durch das Lernen von Fremdsprachen, in Deutschland traditionallerweise z.B. Englisch, Franzosisch oder Spanisch, sollen die Schüler/innen in die Lage versetzt werden, interkulturelle Kommunikative Kompetenzen zu erlangen, um über die Landesgrenzen hinweg kommunizieren zu können und Verständnis für die Denkweisen anderer zu gewinnen. Insbesondere der Europarat und die Europäische Kommission haben in den vergangenen Jahren eine aktive Schulsprachenpolitik in diese Richtung verfolgt. Gefordert wird, dass jeder junger Mensch in Europa neben der sogenannten 'Muttersprache' mindestens zwei europäische Sprachen lernt. Damit soll eine größere Einheit und Verständigung unter den Mitgliedsstaaten erreicht und gleichzeitig die europäische Vielfalt der Sprachen erhalten werden (vg. Europarat/Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001, S. 14ff.).
Zwei Ausprägungen von Mehrsprachigkeit treffen hier also zusammen, die allerdings keineswegs deckungsgleich sind: Die in Deutschland oft als 'Migrationssprachen' bezeichneten Sprachen wie etwa Türkisch, Polnisch, Farsi oder Arabisch sind in der Regel nicht die Schulfremdsprachen; wenn überhaupt, werden sie meist als 'muttersprachlicher Ergänzungsunterricht' außerhalb des regulären Curriculum angeboten. Im 'klassischen' Fremdsprachenunterricht hingegen stehen andere Sprachen im Zentrum, und die bereits vorhandene Mehrsprachigkeit der Schüler/innen wird oft kaum wahrgenommen bzw. sogar als Störfaktor für fremdsprachliches Lernen angesehen (vg. Hu 2003). Auch der oben erwähnte Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat/Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001) geht in dieser Hinsicht keine neuen Wege: Im Mittelpunkt stehen die Sprachen der Mitgliedsländer, aussereuropäische Sprachen bzw. Migrationssprachen spielen hier keine Rolle (vgl. aber für eine erweiterte und integrierende Perspektive Council of Europe 2007). Aus der Perspektive der Fremdsprachendidaktik sind folgende Fragen somit von zentraler Bedeutung: Sind die gängigen Organisationsformen sprachlichen bzw. fremdsprachlichen Lernens in den traditionell etablierten Strukturen und Fachgrenzen der aktuell anzutreffenden sprachlich-kulturellen Vielfalt noch angemessen? Und darüber hinaus: Inwieweit müssen sich die Methodik und die Didaktik der Fremdsprachenvermittlung angesichts der bereits vorhandenen Mehrsprachigkeit ändern, um Plurilingualismus im Sinne einer sprachenübergreiffenden kommunikativen Kompetenz zu fördern (vg. Europarat/Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001, S. 17)?
In meinem Beitrag gehe ich zunächst kurz auf eine qualitativ-empirische Studie zu schulischem Fremdsprachenunterricht und migrationsbedingter Merhsprachigkeit ein, die 2003 erschien (Hu 2003). Auf der Basis von Interviewdaten - erhoben an einer Hauptschule und einem Gymnasium - konnte hier gezeigt werden, dass die Selbstwahrnehmung der Schüler/innen und die Fremdwahrnehmung durch die Fremdsprachenlehrer/innen im Hinblick auf die Bedeutung von Mehrsprachigkeit für das Lernen dritter oder vierter Sprachen beträchtlich differieren. Außerdem wurde deutlich, dass Mehrsprachigkeit - je nach sozialer Situation der Lernenden und je nach dem Prestige der Sprachen - sehr unterschiedlich gewertet wird. Im zweiten Teil skizziere ich die aktuelle Forschungsentwicklung, gerade auch in allerjüngster Zeit. Was hat sich in den letzten 10 Jahren getan? Ich werde dabei zeigen, dass trotz einer lebhaften Forschungs- und Theorieentwicklung im Bereich der Mehrsprachigkeit und ohne Zweifel wichtiger Ergebnisse auch für die Thematik hier gerade die in den Schulen häufig anzutreffende Situation, das Erlernen von Schulfremdsprachen auf der Basis einer mehr oder weniger unsystematisch erworbenen Erstsprache und Deutsch als Zweitsprache, immer noch zu den eher weniger erforschten Konstellationen gehören. Im dritten Abschnitt gehe ich auf aktuelle schulsprachenpolitische und curriculare Aspekte ein und frage danach, welche Formen von Mehrsprachigkeit dadurch tatsächlich gefördert werden. Im letzten Teil komme ich auf Konsequenzen zu sprechen, die sich für die Aus- und Fortbildung von (Fremd-)Sprachenlehrer/innen ergeben.
Zwei Ausprägungen von Mehrsprachigkeit treffen hier also zusammen, die allerdings keineswegs deckungsgleich sind: Die in Deutschland oft als 'Migrationssprachen' bezeichneten Sprachen wie etwa Türkisch, Polnisch, Farsi oder Arabisch sind in der Regel nicht die Schulfremdsprachen; wenn überhaupt, werden sie meist als 'muttersprachlicher Ergänzungsunterricht' außerhalb des regulären Curriculum angeboten. Im 'klassischen' Fremdsprachenunterricht hingegen stehen andere Sprachen im Zentrum, und die bereits vorhandene Mehrsprachigkeit der Schüler/innen wird oft kaum wahrgenommen bzw. sogar als Störfaktor für fremdsprachliches Lernen angesehen (vg. Hu 2003). Auch der oben erwähnte Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat/Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001) geht in dieser Hinsicht keine neuen Wege: Im Mittelpunkt stehen die Sprachen der Mitgliedsländer, aussereuropäische Sprachen bzw. Migrationssprachen spielen hier keine Rolle (vgl. aber für eine erweiterte und integrierende Perspektive Council of Europe 2007). Aus der Perspektive der Fremdsprachendidaktik sind folgende Fragen somit von zentraler Bedeutung: Sind die gängigen Organisationsformen sprachlichen bzw. fremdsprachlichen Lernens in den traditionell etablierten Strukturen und Fachgrenzen der aktuell anzutreffenden sprachlich-kulturellen Vielfalt noch angemessen? Und darüber hinaus: Inwieweit müssen sich die Methodik und die Didaktik der Fremdsprachenvermittlung angesichts der bereits vorhandenen Mehrsprachigkeit ändern, um Plurilingualismus im Sinne einer sprachenübergreiffenden kommunikativen Kompetenz zu fördern (vg. Europarat/Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001, S. 17)?
In meinem Beitrag gehe ich zunächst kurz auf eine qualitativ-empirische Studie zu schulischem Fremdsprachenunterricht und migrationsbedingter Merhsprachigkeit ein, die 2003 erschien (Hu 2003). Auf der Basis von Interviewdaten - erhoben an einer Hauptschule und einem Gymnasium - konnte hier gezeigt werden, dass die Selbstwahrnehmung der Schüler/innen und die Fremdwahrnehmung durch die Fremdsprachenlehrer/innen im Hinblick auf die Bedeutung von Mehrsprachigkeit für das Lernen dritter oder vierter Sprachen beträchtlich differieren. Außerdem wurde deutlich, dass Mehrsprachigkeit - je nach sozialer Situation der Lernenden und je nach dem Prestige der Sprachen - sehr unterschiedlich gewertet wird. Im zweiten Teil skizziere ich die aktuelle Forschungsentwicklung, gerade auch in allerjüngster Zeit. Was hat sich in den letzten 10 Jahren getan? Ich werde dabei zeigen, dass trotz einer lebhaften Forschungs- und Theorieentwicklung im Bereich der Mehrsprachigkeit und ohne Zweifel wichtiger Ergebnisse auch für die Thematik hier gerade die in den Schulen häufig anzutreffende Situation, das Erlernen von Schulfremdsprachen auf der Basis einer mehr oder weniger unsystematisch erworbenen Erstsprache und Deutsch als Zweitsprache, immer noch zu den eher weniger erforschten Konstellationen gehören. Im dritten Abschnitt gehe ich auf aktuelle schulsprachenpolitische und curriculare Aspekte ein und frage danach, welche Formen von Mehrsprachigkeit dadurch tatsächlich gefördert werden. Im letzten Teil komme ich auf Konsequenzen zu sprechen, die sich für die Aus- und Fortbildung von (Fremd-)Sprachenlehrer/innen ergeben.
Annotation in English
Prof. Dr. Adelheid Hu, a full professor of Education at the University of Luxembourg, who specializes in Foreign/Second Language Education, Multilingualism and Intercultural Studies, discusses the discrepancy between migration-based multilingualism and foreign language teaching-based multilingualism, drawing back on her qualitative-empirical study, in which she interviewed both learners and foreign language teachers at two secondary schools in Germany. The results of her study show a significant difference between students' and teachers' perception of the role individual multilingualism plays in additional language learning of third or further languages. Furthermore, multilingualism is perceived and valued differently depending on learner's social situation and the prestige of the languages involved.
Hu outlines the development of current research, investigating the question: What has happened in the last 10 years? She explicates, how despite vigorous research and theory development in the field of multilingualism and the abundance of important results that bear relevance to the contemporary situation in numerous classrooms, the learning of foreign languages in the school context on the basis of a (more or less acquired) first language and German as a second language still represents a constellation that has been investigated relatively little. Moreover, she touches upon the issues related to curricula and school language policies and raises the question: which forms of multilingualism are actually supported through these policies? Finally, she examines the consequences from the prior discussion on the (in-service) training of foreign language teachers.
Hu outlines the development of current research, investigating the question: What has happened in the last 10 years? She explicates, how despite vigorous research and theory development in the field of multilingualism and the abundance of important results that bear relevance to the contemporary situation in numerous classrooms, the learning of foreign languages in the school context on the basis of a (more or less acquired) first language and German as a second language still represents a constellation that has been investigated relatively little. Moreover, she touches upon the issues related to curricula and school language policies and raises the question: which forms of multilingualism are actually supported through these policies? Finally, she examines the consequences from the prior discussion on the (in-service) training of foreign language teachers.
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